Lernlust?

Bob Blume fragt nach der Lernlust in der eigenen Schulzeit :

… wie in der eigenen Schulzeit gutes Lernen, d.h. was an Projekten, Stunden und gemeinsamen Arbeiten in Erinnerung geblieben ist.

Aus diesem Anlass habe ich ein wenig über diesen Aspekt meiner Schulzeit nachgedacht. Ich musste ziemlich lange und intensiv nachdenken, denn spontan fiel mir erstmal gar nichts ein. An Projekte und gemeinsames Arbeiten kann ich mich auch nach längerer Überlegung nicht erinnern. Im Nachhinein betrachtet war der Unterricht während meiner Schulzeit (von 1982 bis 1995) wohl ziemlich konservativ.

Der Begriff der Lernlust wäre mir im Bezug auf meine Schulzeit nicht in den Sinn gekommen. Das Lernen selbst war offenbar nie so anregend, dass es längerfristig im Gedächtnis geblieben wäre. Ich kann mich jedoch an einzelne Momente erinnern, in denen ich »Erkenntnislust« empfunden habe.

Ich habe zum Beispiel eine Situation in Deutsch in der siebten Klasse vor Augen, als wir »Wilhelm Tell« lasen. Auch diese Stunden waren sehr konservativ strukturiert mit viel Unterrichtsgespräch. Was mir im Gedächtnis blieb, sind eininige Momente der Begeisterung darüber, was mein Lehrer in diesem Buch alles erkennen und nachvollziehbar herausarbeiten konnte. Ich hatte das Buch gelesen und auf einer oberflächlichen Ebene auch verstanden, aber in diesen Momenten wurde mir eben klar, was ich alles nicht verstanden hatte. Es machte Freude zu sehen, welche tieferliegenden und doch nachvollziehbaren Bedeutungsebenen da noch drin steckten.

Eine weitere positiv konnotierte Situation betrifft den Latein-Leistungskurs. Ich war in der Unter- und Mittelstufe ein durchschnittlicher Lateinschüler und hatte manchmal auch zu kämpfen, habe aber dennoch Latein als Leistungskurs gewählt: Ich brauchte einen zweiten LK und es kamen aus meiner Sicht nicht viele in Frage. Neben dem Englisch-LK (der sozusagen »gesetzt« war, weil ich Englisch schon immer gut konnte und auch Freude daran hatte) fiel mir kaum ein anderes Fach ein, das ich gerne als LK nehmen wollte. Ich dachte an Biologie, entschied mich aber dagegen, weil ich den enormen Lernaufwand scheute. Somit blieb (zumindest aus meiner damaligen Sicht) nur noch der Latein-LK und zwar aus einem Grund: Wegen des Lehrers, der ihn übernehmen würde. Ich hatte großen Respekt vor ihm und hielt ihn für eine vorbildliche Persönlichkeit. Das war mir Grund genug, den Kurs zu wählen, obwohl mir das Fach bis dato nur bedingt Freude gemacht hatte. Es sollte thematisch unter anderem um Philosophie gehen, was mich vage ansprach, obwohl ich kaum Vorwissen dazu hatte.

Die Wahl hat sich gelohnt und ich habe aus diesem Kurs viel mitgenommen. Wir haben unter anderem Senecas »Epistolae Morales« gelesen und so die Stoische Philosophie Senecas kennengelernt. Die einzelnen Stunden waren sehr einheitlich strukturiert und das Übersetzen von lateinischen Texten war für mich meist keine Freude (so gut konnte ich es nämlich nicht). Ich machte das, weil es dazu gehörte. Die anschließenden Diskussionen brachten mir aber Einblicke in Senecas Gedanken und die Haltung der Gelassenheit, die bei mir zum damaligen Zeitpunkt auf einen fruchtbaren und »erwartenden« Boden fielen. Ich arbeitete intensiv an meiner eigenen Gelassenheit gegenüber verschiedenen Situationen des Lebens und empfand das auch als erfolgreich. Ein kleines Beispiel ist, dass ich damals entschied, meine Stimmung nicht vom Wetter beeinträchtigen zu lassen, was bis heute anhält. Es gab auch tiefgründigere Entwicklungen, die aber privat bleiben.

Mein damaliger Lateinlehrer ist mir auch heute noch in vielen Erinnerungen präsent als ein Lehrer, der sich uns gegenüber immer respektvoll und interessiert verhalten hat, der mit seinen damals schon über sechzig Jahren immer noch wissen wollte, was uns beschäftigt und was uns (außerhalb der Schule) wichtig ist. Nicht zuletzt hatte er enormes Fachwissen und war sehr geduldig und engagiert in seinem Bestreben, uns daran teilhaben und davon profitieren zu lassen.

Bezogen auf Bobs Frage: Lernlust war das nicht, denn die Lernsituationen waren mühsam und oft auch frustrierend. Durch intensives Üben (das in der Regel keinen Spaß machte), wurde ich besser in Latein und erzielte am Ende sehr gute Ergebnisse. Das hat Freude gemacht. Wenn es mir um die inhaltliche Auseinandersetzung mit Seneca ging, las ich die Texte aber auf deutsch. Meine Latein-Abivorbereitung während der Osterferien bestand darin, dass ich abends, nachdem ich den Tag über Englisch gelernt hatte, in meinem Taschenbuch mit den Seneca-Übersetzungen las und mir dazu meine Gedanken machte.

Das ist in der Tat schon alles, was mir bezüglich der gestellten Frage aus meiner Schulzeit einfällt.

* * *

Nach intensivem Nachdenken über mein Studium fielen mir eine einige Situationen ein, in denen ich so etwas wie Lernlust empfand:

Das Hauptstudium Biologie in Heidelberg war damals so strukturiert, dass man unter anderem mehrere (ich glaube vier) so genannte Hauptpraktika machen musste. Das waren jeweils dreiwöchige, ganztägige Praktika, mit denen man bestimmte thematische Vorgaben abdecken musste. Als Lehrämtler konnte man alle Praktika in einem Semester machen, weil sie ja zeitlich andere (semesterlange) Veranstaltungen blockierten. Somit ergab sich ein intensives Semester, denn man hatte Praktikum von ca. 8 – 17 Uhr (mit Mittagspause natürlich) und musste in der Regel abends dann noch das Protokoll für den Tag schreiben.

Eines dieser Praktika bliebt positiv im Gedächtnis: Tierphysiologie. Dieses Praktikum war für die damalige (und heutige?) Uni-Lernsituation völlig untypisch: Die Dozenten erarbeiteten mit uns Problemstellungen und Fragen und wir überlegten gemeinsam, wie man diese Fragestellungen experimentell prüfen könnte. Anschließend führten wir diese Experimente durch und besprachen die Ergebnisse. Wir konnten also ein wenig Forschungsluft schnuppern und selber denken! Das hat viel Freude gemacht.

Das Genetik-Praktikum war dagegen Lernfrust: Wir hatten vorgegeben Experimente zu »kochen«, mir und vielen Anderen fehlte an zahlreichen Stellen das Vorwissen, um auch zu verstehen, was wir da taten, der Tag war bis zum Rand mit dieser Arbeit gefüllt und am Abend musste man versuchen, die getane Arbeit doch noch so weit zu verstehen und Wissenslücken so weit zu füllen, dass man ein akzeptables Protokoll mit halbwegs sinnvoller Deutung dazu schreiben konnte. Insgesamt blieb wohl wenig von der behandelten Genetik hängen.

[UPDATE] Nun sind mir doch noch Lernlust-Erlebnisse aus der Uni-Zeit eingefallen: Die Exkursionen in Geographie. Ich hatte das Glück, eine Woche mit einer netten Gruppe von Geographen durch Süddeutschland zu fahren und unterwegs gemeinsam die Landschaft zu erschließen. Ebenso schön waren zwei Wochen Irland und einige eintägige Exkursionen. Auf diesen Exkursionen hatte man das Gefühl, in wenigen Stunden oder an einem konkreten Standort genauso viel zu lernen wie in einem ganzen Semester Theorie zuvor (wobei das natürlich nur möglich war, weil man die Theorie zuvor gelernt hatte). Außerdem trugen sicher auch die Begleitumstände zum positiven Erlebnis bei: Mit meist freundlichen Menschen draußen in der Natur zu sein und einem gemeinsamen Interesse folgend diese Natur zu verstehen versuchen. [/UPDATE]

* * *

Das Lernen selbst war mir meist Arbeit. Während der Schulzeit machte ich mir keine Gedanken über Lernlust, denn ich empfand die Schule als Pflicht, der ich mich ohnehin nicht entziehen konnte. Mein Elternhaus hat das gar nicht thematisiert: Es war einfach klar, dass man da hingehen musste und es war klar, dass man sich so gut anstrengte, wie man konnte. Ich bin trotzdem gerne zur Schule gegangen.

Auch während der ersten Semester an der Uni war ich kein souveräner Lerner. Ich hatte in der Schule kaum Strategien mitgenommen, mir die großen Stoffmengen zu erarbeiten, die man in Biologie zu bewältigen hat (Geographie kam erst nach dem sechsten Semester dazu und Anglistik lief bei einem zweiten naturwissenschaftlichen Fach zwangsläufig nebenher: Geschätzte 80 % der Zeit nahm das Biologiestudium ein). So kann ich mich noch erinnern, wie ich auf die Zwischenprüfung in Biologie einfach alles X Mal durchlas und hoffte, dass was hängen bleiben würde. Trotzdem machte es auf einer Meta-Ebene Freude, so viel über die Natur zu lernen und vieles davon auch zu verstehen.

Erst im späteren Studium kam aber dann regelmäßigere Erkenntnislust: Ich kann mich an eine Situation während des Auslandsjahrs erinnern, als ich dort etwas lernte, was ich spontan mit einem anderen Lerngegenstand aus einem schon länger zurückliegenden Semester verknüpfen konnte. Da erkannte ich, dass ich die früher gelernten Inhalte nicht vergessen hatte, sondern dass sie noch in meinem Kopf schlummerten, zugedeckt von all den anderen Inhalten, die danach kamen. Dass aber die Vertiefung und das »Absetzen« dieser Inhalte sie mit der Zeit reifen ließ und dass sich nun also (sehr) langsam vernetzte Erkenntnis zeigte. Erkenntnislust! In diesem Zusammenhang spricht mit ein Satz von Vergil sehr an, der mich schon lange begleitet: Felix qui potuit rerum cognoscere causas. (Frei: Glücklich ist, wer die Ursachen der Dinge ergründen konnte).

Die vernetzte Erkenntnis begleitet mich seither. Ich lerne nach wie vor gerne, auch wenn es nach wie vor oft Arbeit ist. Aber bei diesem Prozess etwas zu verstehen und (im Fall von Geographie und Biologie) Zusammenhänge zwischen großen Bereichen der Wirklichkeit zu erkennen und sich damit die Welt ein klein wenig mehr zu erschließen, das ist Erkenntnislust für mich.

 

2 Gedanken zu „Lernlust?“

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