lo-net, moodle und Basecamp – good design, bad design

In einer Diskussion in der Maschendraht Community habe ich geäußert, dass ich lo-net2 bzw. lo-kompakt als Online-Lern-Plattform nicht benutzen würde und dass ich auch bei Moodle enormen Verbesserungsbedarf sehe. Diesen Standpunkt möchte ich hier näher erklären.

lo-kompakt

lo-kompakt ist wohl die etwas reduzierte Version von lo-net2. Für lo-net2 habe ich einmal testweise für unsere Schule einen Account angelegt, um es als mögliche Alternative zu Moodle zu testen. Der bleibende Eindruck: Unübersichtlichkeit. Gutes Design sieht anders aus.

Wichtiges ist nicht als wichtig erkennbar

Es gibt in lo-kompakt verschiedene Layer von Screens, unter anderem einen persönlichen, einen für jeden Kurs etc. Das allein ist nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass sich viele dieser Screens ähneln, obwohl sie völlig unterschiedliche Zwecke erfüllen.

Hier ein Beispiel aus lo-kompakt.

Mein persönlicher Screen nach dem Einloggen sieht so aus:

Lo-kompakt

Der Screen meiner „Klasse“ nach dem Wechsel in diese Klasse:

akalt@schnuppern.xy.lo-kompakt.de-20090521-234842

Es gibt hier Elemente, die gleich heißen und gleiche Icons haben. Im Screen der Klasse gibt es Elemente, die auf meinem persönlichen Screen nicht vorhanden sind und umgekehrt. Es ist für mich auch nach Ausprobieren nicht klar, ob es sich um jeweils zwei verschiedene Blogs, Adressbücher etc. handelt, ob mein persönliches Blog eine Teilmenge des Klassenblogs ist oder ob beide identisch sind.

Ich habe eine Testnachricht in meinem Blog geschrieben und angekreuzt, dass diese sowohl in meinem „Lernraum“ als auch in der „Community“ veröffentlicht werden soll.

Wenn ich nun in den Lernraum wechsle, sehe ich folgenden Screen:

Hier gibt es keinerlei Hinweis darauf, wo mein Blogbeitrag gelandet sein könnte. Es stellt sich heraus, dass ich zunächst in meine „Klasse“ wechseln muss. Das mache ich mit einem unscheinbaren Dropdown-Menü rechts oben:

Dieses Element ist wohl mit das Wichtigste in dieser Situation – mit ihm wähle ich aus, welchen Kurs/Klasse ich sehen möchte. Ein Dropdown-Menü ist aber üblicherweise eher eine technisches Interaktionselement, mit dem ich z.B. Details einer Anwendung einstelle oder nach bestimmten Kriterien filtere. Insgesamt sollte man Dropdowns eher sparsam verwenden.

Wenn dieses Element hier so wichtig ist, dann sollte es nicht grau auf blau rechts oben kauern, sondern groß und mit guten Kontrast in der Mitte meines Blickfeldes stehen, so dass mir klar ist, dass ich hiermit den nächsten Schritt tätigen kann.

Nach dem Wechsel in den „Lernraum“ meiner Klasse erwarte ich, meinen Blogbeitrag dort zu finden. Das hatte ich ja beim Speichern angegeben. Stattdessen finde ich einen leeren Blog vor – von meinem Beitrag keine Spur. Ich habe ihn lediglich in meinem persönlichen Blog gefunden, obwohl ich angekreuzt hatte, dass er sowohl auf der „Community“ als auch im „Lernraum“ erscheinen solle.

Pop-Up Madness

Ein weiterer Kritikpunkt, der für mich persönlich schon hinreichend wäre, lo-net und lo-kompakt nicht zu nutzen, sind Pop-Up Fenster. Jede noch so triviale Aktion, die ich in diesem System durchführe, öffnet ein Pop-Up Fenster.

retemirabile@schnuppern.xy.lo-kompakt.de - Notiz-20090521-211411

Ob ich eine Nachricht in einem Forum posten oder eine lesen möchte, ob ich ein Lesezeichen anlegen oder diese verwalten möchte. Ständig gehen kleine Fenster auf – oder auch nicht, wenn ich einen Pop-Up Blocker aktiviert habe. Dann weist mich lo-kompakt etwas verstohlen und in Tarnfarben darauf hin, dass ich diesen doch ausschalten soll. Gestaltung und Positionierung dieses Hinweises sind der Situation nicht angemessen: dieses Problem wird bei sehr vielen Benutzern auftreten, daher sollte es beim Design antizipiert und (wenn Pop-Ups schon als nötig empfunden werden) mit einer gut sichtbaren Meldung erklärt werden. Design for when things go wrong.

Hier werden gleich eine ganze Reihe von Usability-Grundsätzen gebrochen (Aktionen in einem sinnvollen Seiten-Kontext durchführen, lineare Aufgaben möglichst in einer linearen Struktur darbieten, Komplexität nicht unnötig erhöhen, Benutzerbildschirm nicht zumüllen [s. Punkt 9]), aber der Wichtigste ist: Der Benutzer darf nie, nie, nie seine Software-Einstellungen ändern müssen, um ein Produkt sinnvoll nutzen zu können. Wenn ich meinen Browser so eingestellt habe, dass ich keine Pop-Ups sehen möchte, dann werde ich diese Einstellung sicher nicht ändern, nur um eine Web-Anwendung benutzen zu können.

Bei den Lesezeichen öffnet sogar das Pop-Up noch ein Pop-Up, so dass ich für eine so simple Aktion wie das Speichern eines Bookmarks in einer sinnvollen Kategorie gleich drei Fenster offen habe.

Das Öffnen eines Fensters wird im Browser von verschiedenen Variablen kontrolliert: ist JavaScript eingeschaltet, erlaubt der User das Einstellen der Fenstergröße, erlaubt er überhaupt Pop-Ups etc. All diese Variablen sind für den Anbieter einer Web-Anwendung nicht kalkulierbar und jede einzelne eröffnet das Risiko, dass eine Aktion des Benutzers schief geht.

Moodle

Nach meinem enttäuschenden Testlauf mit lo-net2 (bzw. lo-kompakt) nahm ich Moodle näher unter die Lupe. Das lag schon deshalb nahe, weil Moodle in Baden-Württemberg auch von offizieller Seite benutzt und empfohlen wird und weil es dafür Lehrer-Fortbildungen gibt. Die Chance, dass sich dieses System daher (zumindest in Baden-Württemberg) durchsetzt, ist demnach recht hoch. Außerdem kann man vor diesem Hintergrund damit rechnen, dass mit der Zeit eine nennenswerte Anzahl Kollegen mit Moodle vertraut sind und sich dadurch Synergie-Effekt ergeben.

Ich hatte im Laufe der letzten Jahre schon mehrere Anläufe mit Moodle gemacht. Jedesmal bin ich wieder „ausgestiegen“, weil mir die Benutzung insgesamt zu schwerfällig erschien. Und das ist nach wie vor mein Haupteindruck: Moodle ist ein mächtiges Werkzeug, aber bei jeder Aktion in Moodle spüre ich das Gewicht dieses Vorschlaghammers, den ich da schwinge. Nichts geht schnell und elegant, auch kleine Änderungen von Einstellungen oder das Schreiben eines Posts im Forum erfordern (reale oder gefühlte) unzählige Klicks.

Inzwischen habe ich beschlossen, mich mit Moodle abzufinden. Dennoch sehe ich ein riesiges Potential dafür, Moodle benutzerfreundlicher zu machen.

Meterlange Klick-Wege

Viele Aktionen in Moodle erfordern eine horrende Anzahl von Klicks, zwischen denen jedes Mal eine komplette Seite neu geladen wird. Das kostet Zeit und sorgt insgesamt für ein sehr stockendes Handling. Gerade wenn man (wie ich) eine eher langsame Netzanbindung hat, kann das Laden einer Moodle-Seite schon mal 3 – 4 Sekunden dauern. Das addiert sich dann schnell zu einer gefühlten Ewigkeit.

Ein typisches Beispiel ist das Verschieben eines Elements in einem Kursblock. Angenommen ich habe eine Aktivität an dritter Stelle platziert und möchte sie eine Position nach oben rücken. Das erfordert folgende Aktionen:

  1. Bearbeiten einschalten
  2. Reload der Seite
  3. Klick auf den „nach oben“ Pfeil
  4. Reload der Seite
  5. Klick auf die gewünschte Stelle
  6. Reload der Seite
  7. (Bearbeiten ausschalten) – dieser Schritt ist nicht zwingend nötig, wenn ich damit leben kann, dass die Bearbeitungsansicht mit hunderten repetitiver Icons vollgestopft ist.

Kurs 7c Herr Kalt 20090521-222627

Das sind also insgesamt mindestens sechs Schritte, von denen drei ein Neuladen der Seite sind. Je nach Performance des Servers, auf dem Moodle gehostet ist und der Geschwindigkeit der Netzanbindung dauert dieser Vorgang locker 15 – 20 Sekunden. Damit habe ich dann ein Element an eine andere Stelle verschoben. Das wäre lächerlich, wenn es nicht bittere Realität in Moodle wäre.

Einstellungen, Einstellungen, Einstellungen

Eine weitere Schwerfälligkeit von Moodle sind die unzähligen Optionen, die ich bei fast jeder Aktion auswählen kann/muss.

Hier ist der Screen, den ich zu sehen bekomme, wenn ich eine „Übung“ anlegen möchte.

Die Zahl der Einstellmöglichkeiten ist deutlich zu hoch. Natürlich ist Moodle sehr flexibel: die vielen Optionen haben für fortgeschrittene Benutzer sicherlich einen Sinn. Dennoch gilt das Prinzip, das jedes zusätzliche Interface-Element die Benutzung erschwert, weil man sich mit ihm beschäftigen muss – selbst wenn man entscheidet, die Voreinstellung zu belassen.

Eine mögliche Alternative wäre das Verstecken von fortgeschrittenen Optionen in Kombination mit sinnvollen Voreinstellungen.

Gegenbeispiel: Basecamp

Basecamp ist eine kommerzielle Web-Anwendung für Projektmanagement der Firma 37signals. Ich setze das Produkt seit mehreren Jahren als Lernplattform und wechsle nun schrittweise zu Moodle (aus den oben genannten Gründen). Nach wie vor bin ich vom Design und der Benutzerfreundlichkeit von Basecamp begeistert. Leider kostet Basecamp in der von mir benutzten Version $24 pro Monat. Ich hatte allerdings das Glück, vor einigen Jahren einen kostenlosen Account erhalten zu haben.

Natürlich ist der Vergleich von Basecamp mit Moodle und lo-kompakt/lo-net nicht ganz fair: Basecamp ist ein kommerzielles Produkt, das außerdem deutlich weniger Funktionen anbietet als die beiden anderen Anwendungen. Ein geringerer Feature-Umfang führt typischerweise zu einer einfacheren Bedienung.

Außerdem kann eine Firma, die ihr Produkt verkauft, unter Umständen mehr Ressourcen in die Optimierung stecken als ein open-source oder ein gemeinnütziges Projekt (dieser Punkt ist aber nicht zwingend gegeben: ein open-source Projekt hat typischerweise deutlich mehr aktive Entwickler).

Dennoch möchte ich Basecamp dazu verwenden, um good practices herauszustellen. Denn es wäre meines Erachtens durchaus denkbar und wünschenswert, dass z.B. das Kultusministerium Baden-Württemberg im Zuge seiner Moodle-Unterstützung eine Gruppe Entwickler dafür bezahlt, die Benutzerfreundlichkeit von Moodle zu verbessern und das Ergebnis dann unter einer open-source Lizenz der Moodle-Community zur Verfügung zu stellen.

Übersicht und Orientierung

Eine Stärke von Basecamp ist die Übersichtlichkeit und intuitive Bedienung. Nach dem Einloggen sehe ich auf dem Dashboard alle neuen Aktivitäten quer über meine Kurse („Projekte“) hinweg. So kann ich schnell erfassen, in welchen Kursen wer was gepostet hat.

Wenn ich einen Kurs auswähle, erhalte ich eine kurs-spezifische Übersicht der neuesten Aktivitäten. Dabei wird immer das Prinzip eingehalten: neue Beiträge stehen oben.

Als Administrator habe ich auf der Übersichtsseite die Möglichkeit, jede der Hauptaktionen durchzuführen (eine Nachricht posten, ein To-Do anlegen etc.). Damit sind diese Aktionen nur einen Klick entfernt.

Wenn ich in einen der Unterbereiche wechsle (z.B. „Messages“) sind die Prioritäten erneut klar:

  • Nachrichten lesen: Klick auf den Titel,
  • eine Nachricht posten: Klick auf den großen Button:

Wenn ich eine Nachricht poste (das Äquivalent zum Einstellen einer Aufgabe in Moodle), habe ich deutlich weniger Optionen auszuwählen: Überschrift, Kategorie, Text – optional eine Datei anhängen.

Die vielen Checkboxen darunter sind nur auf den ersten Blick unübersichtlich: sie sind alle Auswahlmöglichkeiten der selben Art, nämlich die Namen der Kursteilnehmer. Das bedeutet, ich muss mich nicht mit jeder dieser Checkboxen als eigene Funktion beschäftigen, sonder mich nur fragen, ob bestimmte Teilnehmer diese Nachricht per E-Mail erhalten sollen.

Funktionen sinnvoll gruppiert

Der Startscreen von lo-kompakt beinhaltet unterschiedliche Funktionen: Blogs, Adressen, Lesezeichen etc. sind inhaltliche Beiträge. Einstellungen, Systemmeldungen etc. sind administrative Funktionen. Beide stehen nebeneinander und sind optisch nicht zu unterscheiden.

In Basecamp gibt es eine Hauptnavigation für die inhaltlichen Beiträge und zwei deutlich abgesetzte Bereiche für zwei Arten von administrativen Funktionen.

Auf diese Art fällt es leichter, sich zu orientieren und die administrativen Links (die typischerweise deutlich seltener benutzt werden als die inhaltlichen) „stehen nicht im Weg rum“.

Fazit

Ich habe von jedem System nur zwei Beispiele besprochen. Eine tiefergehende Analyse würde noch zahlreiche weitere Punkte offenbaren, die in den Learning Management Systemen lo-net2/lo-kompakt und Moodle zu verbessern wären.

Dabei möchte noch einmal betonen, dass Basecamp natürlich ein vollkommen anderes Produkt ist als lo-net/lo-kompakt oder Moodle. Moodle bietet zum Beispiel deutlich mehr Lern-Aktivitäten, als sie in Basecamp realisierbar wären. Dennoch könnten die Lernplattformen von den guten Beispielen profitieren. Eine Webanwendung muss nicht schwerfällig und unübersichtlich sein. Wer schon mal die Produkte von 37signals oder auch Wufoo benutzt hat, weiß, wie elegant man im Browser arbeiten kann.

Eine größere Benutzerfreundlichkeit der Lern-Management-Systeme ist wichtig: die Benutzer sind einerseits Lehrer, die in knapper Zeit einen sinnvollen Einsatz ihrer Lernumgebung planen möchten und anderseits Schüler, die sich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren sollen und deren Energie verschwendet ist, wenn sie sich ständig mit Fragen der Navigation etc. beschäftigen müssen.

Es bleibt zu hoffen, dass sowohl lo-net2/lo-kompakt als auch Moodle sich von guten kommerziellen Anbietern wie 37signals eine Scheibe abschneiden. Das Know-How dazu ist weitgehend frei im Netz verfügbar, u.a. die Designkapitel aus dem Buch Getting Real, aus dem einige der verlinkten Texte entnommen sind.

 

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