Carol Dweck: Mindset

Wer schon ein Mal in einer Notenkonferenz war, kennt wahrscheinlich die Situation, dass dort Dinge über die Leistungen und das Verhalten eines Schülers berichtet werden, die so gar nicht zu dem passen wollen, was man selbst von diesem Schüler kennt. Bei der Suche nach Erklärungen für solche Unterschiede kommt man unter Umständen auch zu der Erkenntnis, dass offenbar die Art, wie man selbst mit dem Schüler umgeht und welches Bild man von ihm hat, einen erheblichen Einfluss darauf haben, welche Leistungen dieser erbringt (und wie er sich verhält, aber dieser Aspekt ist weniger »erstaunlich«).

Es gibt im schulischen Kontext immer wieder den Fall, dass das Lehrerbild eines Schülers zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird — dass Schüler bei einzelnen Kollegen sich so verhalten und solche Leistungen erbringen, wie das diese Kollegen (oft unbewusst) erwarten. Umgekehrt gibt es immer wieder Kollegen, bei denen »schwierige« Schüler weit weniger schwierig sind, »faule« Schüler arbeiten und »desinteressierte« Schüler Interesse zeigen. Das kann natürlich von vielen Faktoren beeinflusst sein, unter anderem wird das unterrichtete Fach eine große Rolle spielen.

Carol Dweck greift in ihrem Buch »Mindset« einen Faktor heraus, der sich in ihren psychologischen Forschungen als sehr bedeutsam für die erbrachten Leistungen und darüber hinaus auch für die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen gezeigt hat. Sie nennt diesen Faktor »Mindset« und meint damit das Bild, das ein Mensch von Eigenschaften wie Intelligenz, körperlicher Leistungsfähigkeit, sozialer Kompetenz oder Begabungen hat. Dweck unterscheidet zwei gegensätzliche mindsets:

  1. Menschen mit dem »fixed mindset« gehen davon aus, dass ihre (oder anderer Leute) Begabungen, ihre Intelligenz, ihre Möglichkeiten feste und (weitgehend) unveränderliche Persönlichkeitsmerkmale sind. Wenn man zum Beispiel in der Schule gute Leistungen erbringt, zeigt das, dass man schlau ist.
  2. Menschen mit dem »growth mindset« sehen das anders. Sie gehen davon aus, dass man Fähigkeiten entwickeln und verbessern kann. Eine gute schulische Leistung wird in dieser Haltung eher mit der investierten Arbeit in Verbindung gebracht als mit einer angeborenen »Schlauheit«.

Dwecks Buch erklärt die beiden mindsets und erläutert sie anhand von unzähligen Beispielen aus vielen verschiedenen Kontexten: Geschäftsleben, Sport, Musik, elterliche Erziehung und natürlich auch Schule und Universität.

Dweck hat Studien in diesen verschiedenen Kontexten durchgeführt und festgestellt, dass mit den beiden mindsets oft typische Persönlichkeitsmerkmale einhergehen.

  1. Viele Menschen mit dem fixed mindset haben das Gefühl, sich ständig beweisen zu müssen. Gute Leistungen bestätigen sie in ihrem positiven Bild von sich selbst. Sie scheuen unbekannte Herausforderungen, deren Ausgang unsicher ist, denn Niederlagen oder Misserfolge erleben sie oft sehr extrem. Diese gefährden ihr positives Selbstbild. Sie können selten konstruktiv mit Misserfolgen umgehen.
  2. Menschen mit dem growth mindset hingegen beziehen ihr Selbstwertgefühl nicht primär aus Erfolgen, sondern aus ihrem Selbstverständnis, beständig dazu zu lernen. Sie gehen Herausforderungen gerne an und erleben Niederlagen und Misserfolge nicht als vernichtend, sondern begreifen sie eher als Stationen auf dem Weg ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Da sie ihre Fähigkeiten ohnehin als dynamisch sehen, ist es für sie nicht problematisch, wenn einmal etwas schief geht. Damit schaffen sie es häufiger, konstruktiv mit Rückschlägen umzugehen.

[UPDATE] Die mindsets sind nach den Studien weitgehend anerzogen und daher nicht fix. Schon allein die Information über die Existenz und Wirkungsweise der mindsets und die Bedeutung des growth mindsets konnte bei Schülern und Studierenden teilweise eine verbesserte Einstellung zum Lernen und zu unbekannten Herausforderungen bewirken. Um das nachhaltig zu erreichen, muss man natürlich länger daran arbeiten. Dweck geht daher ausgiebig darauf ein, wie man die eigene Einstellung und die Einstellung anderer positiv verändern kann.

Relevanz

Carol Dwecks mindsets können sich in Schule und Erziehung sehr stark auswirken. Dweck berichtet von sehr vielen Fällen, in denen der mindset von Schülern und Lehrern direkt messbare Konsequenzen auf die erbrachten Leistungen hatte. Wenn Schüler, ihre eigenen Fähigkeiten als unveränderlich begreifen, lohnt es sich aus ihrer Sicht möglicherweise nicht, sich anzustrengen oder sich an neue, schwierige Themen heranzuwagen. Lehrer mit dem fixed mindset sortieren ihre Schüler unter Umständen schnell in bestimmte Kategorien ein (»faul«, »überfordert«, »nicht intelligent genug für diese Schulform«) und bieten Schülern in »schlechteren« Kategorien dann möglicherweise nicht genügend Gelegenheit, sich positiv zu entwickeln. Damit erzeugen sie dann unter Umständen die selbsterfüllenden Prophezeiungen, die ich zu Anfang erwähnt habe.

Darüber hinaus sind es oft sehr subtile Botschaften, mit denen ein mindset bei Kindern oder Schülern etabliert wird. Die Art und Weise, wie und was man lobt oder kritisiert, welchen Aspekten des Verhaltens man Aufmerksamkeit schenkt, wie man mit Fragen und Unsicherheit der Kinder umgeht etc. Die Lektüre des Buches schärft den Blick für diese Fragen und ist daher ein ausgiebiger Anlass zur Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis.

Es erscheint damit sehr wichtig, dass Lehrer, Schüler und auch Eltern sich der mindsets und ihrer potentiellen Wirkung bewusst sind, um allen Schülern angemessenen Entwicklungschancen einzuräumen.

Kritik

If you are a hammer, everything is a nail.

Die beiden mindsets haben ohne Zweifel weitreichende Konsequenzen auf viele verschiedene Lebensbereiche. Allerdings wäre zu prüfen, ob nicht im Einzelfall noch weitere Faktoren das Selbstbild von Menschen, ihre Leistungsfähigkeit, ihren Umgang mit Niederlagen etc. beeinflussen. Dwecks Darstellung führt praktisch alle im jeweiligen Kontext zu beobachtenden Verhaltensweisen auf einen der beiden mindsets zurück und macht sich damit die Sache aus meiner Sicht zu einfach.

Außerdem ist das Buch meines Erachtens zu lang geraten. Die vielen Beispiele sollen überzeugen und zeigen, wie vielfältig die Konsequenzen der mindsets sind. Irgendwann habe ich aber gedacht: »Ja, ich hab’s ja kapiert. Mach’s kürzer.« Man kann das Buch daher getrost nur auszugsweise lesen ohne das Wesentliche zu verpassen.

Die folgenden Artikel können einen ersten Einblick geben:

Fazit

Für mich ist der Erklärungsansatz der mindsets überzeugend und hat mir neue Perspektiven auf die Leistungen von Schülern, auf die Schule als Organisationsstruktur und auch allgemein auf die Erziehung von Kindern eröffnet. Auch wenn ich die mindsets in der Regel nicht als alleiniges Erklärungsmuster akzeptieren würde, halte ich es dennoch für wichtig, dass man als Lehrer das eigene Verhalten und das Verhalten von Schülern auch durch diese Brille betrachtet und analysiert.

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